Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt

Es fängt an mit der kaputten Brille oder dem Rotweinfleck auf der teuren Polstergarnitur. Mancher schreckt aber auch nicht davor zurück, sich einen Daumen abzuschneiden oder das eigene Haus in Brand zu stecken: Dirk-Carsten Günther kann eine Menge über versuchten Versicherungsbetrug erzählen. Im Auftrag von Unternehmen bearbeitet der Anwalt aus Köln pro Jahr mehrere hundert Streitfälle, in denen Versicherungsunternehmen die Haftung nicht übernehmen - und Verbraucher dagegen klagen.

[AD 107] Wenn es um große Summen geht, lässt er auch schon mal in der Stammkneipe des Klägers recherchieren. Dort findet er vielleicht Zeugen, die aussagen, dass der Geschädigte schon oft davon gesprochen hat, sein Haus «heiß zu sanieren», wie der Volksmund sagt. «Oder wir schalten private Ermittler ein», erläutert Günther, der Partner in der auf Betrugsfälle spezialisierten Kanzlei Bach Langheid Dallmayr ist. Verbraucher sind aber nicht nur dann schlecht beraten, ihre Versicherung erleichtern zu wollen, wenn viel Geld im Spiel ist.

«Versicherungsbetrug ist eine Straftat. Außerdem riskieren Betrüger, lebenslang ihren Versicherungsschutz zu verlieren», sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV) in Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein). Denn das Gesetz räumt den Versicherern bei einem nachgewiesenen Betrug ein außerordentliches Kündigungsrecht ein - «und das wird in aller Regel in Anspruch genommen.»

Auch wenn seine Organisation mit den Unternehmen oft genug nicht einer Meinung ist, findet Rudnik es «gut und richtig», dass die Versicherer hart gegen Betrüger vorgehen: «Viele denken, dass sie aus den jahrelang eingezahlten Beiträgen auch wieder etwas heraus bekommen müssen. Es ist aber ein Irrglaube, dass die Versicherung so eine Art Sparvertrag ist.» Vielmehr stecke hinter dem Abschluss einer Police der Solidargedanke, dass alle in einen großen Topf einzahlen, um sich vor großen Risiken zu schützen.

«Man bekommt ja eine Leistung für sein Geld: den Versicherungsschutz», fügt Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin hinzu. Den könne der Versicherte nur leider nicht zählen, solange nichts passiert. Schlimm sei, dass der Betrug der Versicherung heute als Kavaliersdelikt gilt. Die Branche schätzt, dass ihr jedes Jahr rund vier Milliarden Euro Schaden durch Versicherungsbetrug entsteht.

Anonyme Befragungen hätten ergeben, dass jeder Zehnte schon einmal seinen Versicherer betrogen hat - indem ein Schaden höher beziffert oder ein selbst verschuldetes Malheur als Unfall ausgegeben wurde. Nachbarn oder Freunde lassen dann ihre Haftpflichtversicherung einspringen. Auch Hausrat- und Kfz-Versicherung werden nach Statistiken des Verbandes oft betrügerisch in Anspruch genommen.

[AD 107] «Ändert sich bei Computern oder Digitalkameras der Stand der Technik, steigen meist die bei uns gemeldeten Schadenssummen», fügt Brockmann hinzu. «Da macht dann der Freund schnell mal den Computer kaputt, damit ein neuer finanziert werden kann.» Wenn viele neue Modelle auf den Markt kommen, seien die Sachbearbeiter daher besonders aufmerksam. Aber auch wenn ein angeblicher Auffahrunfall auf einer einsamen Straße um drei Uhr nachts passiert und die Polizei dabei nicht benachrichtigt wird, werden die Versicherer hellhörig, erläutert Günther.

Ebenso deute es auf einen Betrugsversuch hin, wenn bei einem Diebstahl die Einbruchspuren fehlen: «Dann werden unabhängige Sachverständige eingeschaltet, die sich die Umstände genau ansehen.» Auch wenn Versicherte immer wieder mit ähnlichen Schäden bei den Unternehmen anklopfen, lässt die Abteilung Schadensregulierung der Versicherung das Scheckbuch zunächst in der Schublade.

Solche Vorbelastungen können Unternehmen mit der so genannten Uniwagnis-Datei herausfinden. Sie wurde von der Branche eigens zum Schutz vor Betrug ins Leben gerufen. Über Umwege kann ein Versicherer darin einsehen, ob ein Geschädigter schon häufiger wegen ähnlicher Anzeigen aufgefallen ist. Anhand verschiedener Kriterien lassen sich einzelne Personen ermittelt - für die Herausgabe von Namen und Adresse müssen aber mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, erläutert Brockmann: «Es ist nicht so, dass man kurz mal nachsehen kann, ob ein Holger Schmidt aus einer bestimmten Stadt schon einmal seine Versicherung betrogen hat.»

Vor dem Blick in die Datei lassen sich die Unternehmen aber den Sachverhalt genau schildern. «Unserer Erfahrung nach werden Schadensfälle ab 500 Euro aufwärts eingehend geprüft», sagt Rudnik. Im Zweifelsfall müssen Versicherte das «Corpus delicti» einschicken - das kann die kaputte Brille oder der beschädigte Anzug sein, erläutert Brockmann. Treten in der anschließenden Untersuchung Widersprüche auf, kommen die Gutachter ins Spiel.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen werde es immer Fälle von Versicherungsbetrug geben, sagen die Experten. «In den meisten Fällen geht es ja um sehr kleine Schadenssummen», erläutert Brockmann. «Da wird es immer eine Abwägungssache sein, mit welchem Krafteinsatz ich das genauer verfolge.» Schließlich wolle die Versicherung den Kunden nicht von vornherein verdächtigen - und Geld kostet die Detektivarbeit auch.

Bei manchen Fällen sei die Sache aber von Anfang an klar: Mit der Angabe, das Handy sei kaputt, weil es herunter gefallen ist, werden Versicherte im Normalfall wohl nicht durchkommen, sagt Brockmann: «Es ist in mehreren Studien nachgewiesen worden, dass ein Handy bei einem Fall aus normaler Höhe nicht kaputt geht.»