Vorbereitet zur Hauptversammlung

Das Frühjahr ist die Saison der Hauptversammlungen. Auf diesen Veranstaltungen legt der Vorstand börsennotierter Unternehmen Rechenschaft ab und steht den Kapitalgebern Rede und Antwort. Dennoch lassen die Treffen viele Anteilseigner kalt: Im Schnitt zeigt nur die Hälfte des stimmberechtigten Kapitals auf der Hauptversammlung Präsenz.

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Dabei ist die Hauptversammlung vor allem für den Privatanleger «die fast einzige Möglichkeit, seine Rechte wahrzunehmen. Hier stehen ihm Rede- und Wahlrecht zu», sagt Markus Straub, der stellvertretende Vorsitzende der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) in München. So kann der Anteilseigner unmittelbar Auskunft von Vorstand und Aufsichtsrat verlangen oder den Managern die Meinung ins Gesicht sagen. Außerdem bestimmt er die Höhe der ihm zustehenden Dividende mit.

In der Teilnahme an der Hauptversammlung sieht der Anlegerschützer daher große Vorteile: «Ich bekomme einen persönlichen Eindruck vom Vorstand: Hat der eine große Klappe, hält aber nicht, was er verspricht? Arbeitet er ruhig? Strahlt er Vertrauen aus?» Durch den Augenschein entwickle auch der Laie ein «sicheres Gefühl für das Investment». Und dieses könne der Kapitalgeber in seine Entscheidung über ein weiteres Engagement einbeziehen.

Die Fahrt zur Hauptversammlung ist von der Steuer absetzbar. Sie sollte jedoch «im angemessenen Verhältnis» zum Investment stehen, erläutert Straub. Bei einem Dreitagesausflug von München nach Hamburg für eine einzelne Aktie werde das Finanzamt wahrscheinlich streiken. Dennoch ist eine hohe Teilnehmerzahl nicht nur Aktionärsvereinigungen, sondern auch Gesellschaften willkommen.

«Wir freuen uns über eine hohe Präsenz, damit die Beschlüsse von möglichst vielen Aktionären getragen werden», heißt es bei der Deutschen Telekom in Bonn. Sie gilt als die größte Publikumsgesellschaft in Deutschland. Zu ihrer Hauptversammlung strömen jedes Jahr annähernd 8000 Anteilseigner in die Kölnarena.

«Bei den Abstimmungen gilt: pro Stammaktie eine Stimme», erläutert Markus Straub. Hält ein Einzelaktionär 50 Anteile, verfügt er also über 50 Stimmen. Einige Privatanleger können unter Umständen verhindern, dass Beschlüsse ausschließlich zu Gunsten großer Anteilseigner wie Banken oder reinen Finanzinvestoren gefasst werden. «Wenn ich mit Vorschlägen nicht einverstanden bin, nutze ich mein Rederecht, um andere von meiner Meinung zu überzeugen», sagt Franz-Josef Leven vom DAI.

Zur Vorbereitung empfiehlt der Experte einen Blick in den Geschäftsbericht. Er kann beim Unternehmen angefordert oder aus dem Internet heruntergeladen werden. Das oft bis zu 160 Seiten dicke Werk fasst die wichtigsten Fakten des abgelaufenen Geschäftsjahrs zusammen. In erster Linie sind dies Kennzahlen wie Jahresüberschuss und Dividende. Ein Überblick über die vergangenen fünf Jahre steht meist auf der Umschlagseite innen.

Beim Lesen konzentriert sich Leven auf 20 bis 25 Seiten. Zuerst wirft er einen Blick auf den Brief des Vorstands: «Da steht schon mal das Wesentliche auf drei, vier Seiten drin.» Danach blättert der Aktienexperte den Lagebericht auf. Dessen Lektüre sei zwar «ein bisschen trocken, der Inhalt aber gesetzlich vorgeschrieben und «vom Wirtschaftsprüfer testiert». Außerdem enthalte dieses Kapitel unter anderem im Risiko- und Prognoseteil auf die Zukunft gerichtete Aussagen: «Das sollte der Anleger mindestens genauso beachten wie die Vergangenheit.»

Besonders genau studiert er dann den Zahlenteil im Anhang. Dort finden sich auch Angaben zum Gehalt des Vorstands. Leven interessiert in diesem Punkt die Kopplung an die Entwicklung des Aktienkurses. «Als Anteilseigner kann ich in Form einer Wertsteigerung meines Investments hoffentlich von der Arbeit der Manager profitieren.»

Abschließend sieht der Profi sich die mit Bildern und Geschichten geschmückte Selbstdarstellung des Unternehmens an. Unter dem Strich zählen aber nur «Zahlen, keine Bilder», mahnt Leven Kleinanleger. Und um die Finanzbegriffe zu entschlüsseln, rät Leven Einsteigern, bei der Lektüre des Geschäftsberichts ein Börsenlexikon zu benutzen.

Stimmrecht kann ein Bevollmächtigter ausüben

Für die Stimmabgabe auf der Hauptversammlung ist die persönliche Anwesenheit eines Anteilseigners nicht erforderlich. «Der Aktionär kann sein Stimmrecht durch einen Bevollmächtigten ausüben lassen. Ihm kann er genaue Weisungen erteilen», erläutert Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt. Meist übernehmen Bankmitarbeiter und professionelle Aktionärsvertreter diese Aufgabe. Die Depotbanken senden die Vertretungsformulare mit der Einladung unaufgefordert zu. «Und manche Gesellschaften bieten auch ein Stimmverfahren per Mail oder Internet an.»

Literatur: Rolf Beike und Johannes Schlütz: Finanznachrichten lesen, verstehen, nutzen. Ein Wegweiser durch Kursnotierungen und Marktberichte. Schäffer-Poeschel, ISBN-13: 978-3-7910-2354-0, 39,95 Euro. Das Heft «Aktien richtig einschätzen» gibt es kostenlos beim Deutschen Aktieninstitut, Niedenau 13-19, 60325 Frankfurt.

Internet: www.geschaeftsbericht-service.de, www.sdk.org, www.dai.de.