Börsenneulinge müssen ins Depot passen

Von Erfolgsgeschichten wie der des Unternehmens Wacker Chemie, dessen Preis sich seit der Neuemission zeitweise mehr als verdoppelt hat, werden auch Privatanleger angelockt. Allerdings sollten sie in solchen Fällen noch mehr Vorsicht walten lassen als beim Kauf etablierter Aktien.

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«Das ist eine hochspekulative Geschichte», sagt Thomas Bieler, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Anleger, die in neuemittierte Papiere investieren wollen, sollten daher in der Lage sein, eine Bilanz oder einen Geschäftsbericht zu lesen. «Das Unternehmen sollte für die vergangenen Jahre ein solides Geschäftsmodell vorweisen und Gewinne verbucht haben», sagt Reinhild Keitel von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) in München. Von Papieren von Unternehmen mit hochtrabenden Ideen, aber unsicheren Zukunftsaussichten rät sie ab.

Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) in Frankfurt empfiehlt Anlegern einen Schnelltest, bevor sie sich auf den Kauf eines neuen Papiers einlassen. Erstens sollten sie verstehen können, was die Firma herstellt. Denn wer gar nicht weiß, was zum Beispiel hinter «integrierten strategischen Systemlösungen» steckt, könne auch nicht abschätzen, wie die Marktchancen stehen. An zweiter Stelle stehen Bauchgefühl und Vertrauen in Vorstand und Management: «Fragen Sie sich, ob Sie dem Vorstand ein gebrauchtes Auto abkaufen würden.»

Drittens müssen Sparer das Geld, das angelegt wird, mindestens fünf Jahre entbehren können. «Alles andere wäre spekulativ», sagt Leven. Und schließlich müsse ein neues Papier in die Struktur des Depots passen: «Wer schon 80 Prozent in der Autobranche angelegt hat, sollte da nicht noch eine Aktie kaufen.» Nur wer jeden dieser Punkte für sich bejahen kann, sollte überhaupt weiter gehende Informationen einholen. Die erhalten Anleger in erster Linie im so genannten Wertpapierprospekt.

Darin werden unter anderem die Unternehmensstruktur, die Finanzlage und die Geschäftstätigkeit erklärt - alles, was den Erfolg des Papiers beeinflussen kann, erläutert Leven. Aber auch wichtige Daten und Fristen zum eigentlichen Börsengang finden sich darin - zum Beispiel die Zahl der ausgegebenen Aktien sowie mögliche Investitionen, die mit dem Emissionserlös finanziert werden sollen.

Für die Richtigkeit der Daten haften der Emittent und die Konsortialbanken - also die Banken, die den Börsengang begleiten. Trotzdem sollten sich Anleger nicht allein auf diese Selbsteinschätzung des Unternehmens verlassen. Bewertungen von anderer Seite bekommen Anleger in Analysen von Geldinstituten und Artikeln in Fachblättern, fügt Leven hinzu.

Wie viele Informationen Anleger vor und nach dem Börsengang erhalten, hängt unter anderem vom Börsensegment ab, in dem die Aktien später gehandelt werden. Privatanleger halten sich besser an streng regulierte Segmente mit hohen Transparenzstandards, rät Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf. Das seien der «General Standard» und der «Prime Standard».

Auch das Branchenrisiko muss in die Entscheidung für ein Papier einbezogen werden, sagt Reinhild Keitel. Experimentierfreudige könnten sich neuen Technologien zuwenden. Sicherer seien aber traditionelle Branchen wie die Versorgungsindustrie. Zur Bewertung des Aktienpreises kommt ein Vergleich mit dem Kurs von Konkurrenten, die bereits an der Börse notiert sind, in Frage. Ausschlaggebend ist dabei das Verhältnis von Kurs zu Buchwert (KBV). Dabei sollte das Unternehmen unter den Bewertungen der börsennotierten Wettbewerber liegen.

Hat sich ein Anleger für ein Papier entschieden, heißt das aber noch lange nicht, dass er tatsächlich zum Zuge kommt. Das so genannte Zeichnungsverfahren wird innerhalb bestimmter Fristen von Banken oder Konsortien organisiert. Dabei gibt es unterschiedliche Verfahren, erklärt Jürgen Kurz: Entweder würden Quoten gebildet, gelost, eine Auktion veranstaltet, oder nur die schnellsten Käufer kommen zum Zug. Erst nach dem Zeichnungsverfahren werde dann der Emissionspreis der Aktie endgültig festgelegt.

Ist die Nachfrage größer als das Angebot auszugebender Aktien, sprechen Fachleute davon, dass das Papier «überzeichnet» ist. Dann können Bieter leer ausgehen, und die Mühe war umsonst. Und auch aus einem anderen Grund rät Jürgen Kurz Privatanlegern, derzeit zurückhaltend an Neuemissionen heran zu gehen. Die derzeit gute Stimmung an den Aktienmärkten sei kein Garant für einen schnellen Gewinn: «Die Zeiten, in denen am ersten Tag 40 Prozent Gewinn gemacht wurden, sind vorbei.» Im vergangenen Jahr habe es noch gute Geschäfte gegeben. «Dieses Jahr ist es eher durchwachsen.»

Aktionärsstruktur zum Börsenstart beachten

Vor dem Zeichnen von neuemittierten Papieren sollten Anleger die zu erwartende Aktionärsstruktur in Augenschein nehmen. Denn wenn viele Anteilseigner kurz nach dem Börsengang Aktien verkaufen, fällt der Kurs. Daher sei es wichtig zu wissen, wie viele Altaktionäre - also Finanzinvestoren, Gründer und Vorstände - Aktien erhalten, erläutert Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf. Diese verkaufen Papiere häufig schneller als Privatanleger. Ein interessanter Hinweis könne daher auch sein, ob die Altaktionäre verpflichtet sind, die Aktien über eine so genannte Lock-Up-Periode zu halten.