Was Lehman-Anleger tun können

Einer hat «die Hälfte» seiner Wertanlagen verloren, bei anderen sind 5000 Euro weg. Ein Betroffener aus Niedersachsen schreibt, er habe 24 000 Euro in Papiere der Lehman Brothers gesteckt - als «absolut sicher» und «mit Gewinngarantie» seien sie angepriesen worden. Und eine 70-Jährige führt schon lange ihre Geschäfte bei ein und derselben Hausbank. Jetzt fühlt sie sich geprellt, denn wie bei vielen anderen Anlegern ist ein großer Teil ihres Ersparten in Lehman-Zertifikate gewandert - und vielleicht verloren.

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Diese und viele weitere Fälle haben die Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Hamburg dokumentiert. Nach Einschätzung der Verbraucherschützer aus Düsseldorf sind es Tausende Anleger, die nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank auf wertlos gewordenen Zertifikaten sitzen. Die Experten sprechen von einem «Vertrauensverlust» von Kunden und Banken - und von «haarsträubenden Fällen». Vor allem ältere Menschen seien betroffen.

«Im Anlagegeschäft wurden mehrfach Risiken gezielt verharmlost oder gleich ganz ausgeklammert und Risikopapiere auf eine Stufe mit Spareinlagen gestellt», so die Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen. In einigen Beratungsprotokollen sei sogar notiert worden, dass Kunden von sich aus nach dem Risikopapier gefragt hätten - obwohl nach ihren Aussagen das Gegenteil der Fall war. «Ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf der Kunden wurde viel zu oft mit aggressiven Verkaufsmethoden das an Mann und Frau gebracht, was der Bank oder Sparkasse die höchsten Erträge sichert», sagt Vorstand Klaus Müller. Die meisten dokumentierten Fälle betreffen die Citibank, an zweiter Stelle steht die Dresdner Bank.

Im Fall der Citibank habe scheinbar «ein System existiert, mit dem gezielt ältere Kunden aus sicheren Anlagen in die Risiko-Zertifikate gelockt wurden». Obwohl im Beratungsprotokoll ein hohes Sicherheitsbedürfnis der Kunden festgehalten wurde, habe man sie - so die Schilderungen der Betroffenen - zum Zertifikate-Kauf überredet und dann im Protokoll dokumentiert, dass dies auf ausdrücklichen Kundenwunsch geschehen sei, erläutert Müller.

Die rechtliche Ausgangslage ist für die Betroffenen in der Regel schlecht. «Der Kunde muss beweisen: Da ist was Falsches für mich herausgesucht worden, ich wollte nur ganz sichere Papiere», erklärt Paul Assies, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Köln und Mitglied in der entsprechenden Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Anwaltvereins. Die Sicherheit bemisst sich nach seinen Worten in fünf Stufen: Stufe eins für sichere Einlagen wie Festgelder, Klasse zwei umfasse regelhaft Anleihen mit guter Bonität und andere festverzinsliche Wertpapiere sowie offene Immobilienfonds. Nach oben hin werde es dann risikobehafteter.

Rechtlich gesehen wird die Bank vor Gericht nicht dafür zur Verantwortung gezogen, dass es eine bestimmte Entwicklung am Kapitalmarkt gegeben hat. «Das kann auch die Bank nicht absehen», sagt Assies. «Aber im Beratungsgespräch entsteht eine Verpflichtung - die Bank muss anleger- und anlagegerecht beraten.» Das habe der Bundesgerichtshof schon 1993 entschieden (Az.: XI ZR 12/93). Der Kunde müsse also über das Risiko informiert sein. Und vor Gericht gehe es um die Prüfung, ob dieser Pflicht nachgekommen wurde, erläutert Assies, der vor allem Banken vertritt. Dafür sind konkrete Beweise notwendig, zum Beispiel ein Protokoll des Beratungsgesprächs. Aber auch die Werbung der Bank für das Produkt könne eine Rolle spielen.

Der größte Nachteil für betroffene Anleger ist aber die Beweislast. Deshalb fordern Verbraucherschützer nun, dass der Gesetzgeber diese umkehrt - dass also die Bank in der Pflicht ist, vor Gericht den Beweis zu führen. Viele fühlen sich dabei alleingelassen. Denn Sammelklagen kann es nicht geben, jeder Fall ist individuell und anders gelagert, sagt Hartmut Strube, Fachanwalt für Kapitalmarktrecht bei der Verbraucherzentrale in Düsseldorf. Er hat die Erfahrung gemacht, dass «Bankberater vor Gericht mitunter lügen, dass sich die Balken biegen». Wer jetzt zum Anwalt geht, um auf Schadenersatz zu klagen, dürfe daher «keinen Spaziergang» erwarten.

Neben Anwälten ist zum Beispiel die Schlichtungsstelle des Bankenverbands eine weitere Anlaufstelle für Betroffene. Für dieses Verfahren ist kein Anwalt nötig. Außerdem wirkt die Teilnahme, die kostenlos ist, «verjährungshemmend» - das bedeutet, Ansprüche bleiben unter Umständen länger bestehen. Daher rät die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf dazu, sich an den Ombudsmann zu wenden.

Ein entsprechendes Formular zur Anmeldung finden Anleger im Internet unter www.bankenverband.de/ombudsmann. Ohnehin sollten geschädigte Anleger eine Klage genau abwägen, sagt DSW- Geschäftsführer Marc Tüngler: «Das muss jeder im Einzelfall für sich entscheiden.» Auch ohne Klagen werde den Anlegern je nach Wertpapier wohl voraussichtlich eine Quote zwischen 30 bis 50 Prozent ihrer Anlagesumme als Entschädigung zustehen, sagt Tüngler - auch wenn Anlegeranwälte das zum Teil anders sehen. «Das hören wir derzeit aus den USA.» Betroffene sollten sich an ihre Depotbank wenden, um ihre Ansprüche anzumelden.

Wer unter Zeitdruck stehe, weil seine Ansprüche wegen der Verjährungsfrist bald auslaufen, sollte sich im Zweifelsfall aber einen Berater suchen, rät Tüngler. Die Ansprüche aus Geschäften mit Zertifikaten verfallen drei Jahre nach dem Kauf der Papiere. «Alle anderen sollten erst einmal in Ruhe schauen, wie sich der Vorgang weiter entwickelt.» Inzwischen haben sich auch zahlreiche Interessengemeinschaften geschädigter Käufer von Lehman-Zertifikaten gebildet. Wer danach sucht, findet im Internet schnell mehrere Webseiten. Hartmut Strube rät, sich nicht ohne genaue Abwägung anzuschließen: «Nach jedem Debakel rund um Anlageprodukte gibt es anderthalb Tage später eine Interessengruppe. Und wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie, dass eine Anwaltskanzlei dahintersteckt.» Es gehe in solchen Fällen also auch ums Geschäft. Zum Teil wird auf den Internetseiten allzu vollmundig Entschädigung versprochen.

Die Verbraucherzentrale Hamburg rät Betroffenen, auch jetzt noch ein Gedächtnisprotokoll vom Beratungsgespräch anzufertigen. «Notieren Sie, wie Sie Ihr Geld vorher angelegt hatten.» Denn das könne etwas über das persönliche Risikoprofil aussagen. «Und es sollte deutlich werden, ob zuvor ein Anruf vom Berater kam, und von wem die Initiative für den Erwerb der Papiere ausging.»